Die Archetypie der Verpackung

Wir wissen, dass es neben dem Inhalt auf die Verpackung ankommt. Gutes Packaging Design berücksichtigt neben dem Grafikdesign auch Form, Material und Haptik der Verpackung. Leider wird dies oft vernachlässigt, da Logistiker, Finanzplaner und Techniker längst die Entscheidung getroffen haben. Dabei gehört die Verpackung genauso zur Markenpersönlichkeit wie das Grafikdesign.

Auch die Verpackung folgt den Gesetzen der Archetypie. Archetypen dürfen in Gruppen eingeteilt werden und spiegeln Referenzfelder wider, in denen Menschen bewusst und unbewusst Sympathien empfinden und Identifikation erleben. Diese Referenzfelder werden durch Sozialisierung und tägliches Erleben manifestiert. Wer also Verpackungs-Archetypen richtig einsetzt, kann bestimmte Emotionen auslösen, die avisierte Zielgruppe triggern und eigener Markenpersönlichkeit zusätzliche Charakteristik verleihen.

Verpackungs-Archetypen kennen wir alle. Mit verbunden Augen identifizieren wir Coca-Cola Flaschen. Interessanter wird es, wenn wir untersuchen, wie Archetypen wirken. Wer erinnert sich an den Fütterlöffel, der von Mutterhand geführt in das Gläschen mit Babybrei eintaucht und am Ende mit mattem Klang an der Glaswand die kostbaren Breireste herausmanövriert, um uns damit zu versorgen? Ein Erleben, dass weit zurückliegt und mit Begriffen wie Sicherheit und Fürsorge unbewusst assoziiert wird. Die Archetypie des Glases und seiner Beschaffenheit ist mit der eigenen Vita verbunden und richtig zitiert können später auf unsere Beispiel bezogen emotionale Benefits verstärkt werden: Das breiartige Fruchtmousse oder der Smoothie für junge Erwachsene wäre dann im kleinen 200-g-Babybrei-Gläschen gut geeignet, um eine regressive Wirkung zu verstärken und reicht in seiner Verwendung in Bereiche persönlicher Fürsorge hinein, die vom hohen Nährgehalt des Fruchtbreies auf rationaler Ebene unterstrichen werden: Die weiche, milde und sämige Fruchtigkeit und Textur des Smoothies im Babyglas verleitet gerne in seiner Anwendung zum heimischen Cocooning oder zum warmen, umsorgten Gefühl, während der oder die VerwenderIn durch die arg kalte Welt reist.

 

 

Doch kann die Archetypie einer Verpackung auch entlehnt werden und damit völlig neuen Zwecken zugeführt werden, um Markenpersönlichkeit quasi von außen zu formen? Ein berühmtes Beispiel ist die Marke Warsteiner. Vor Einführung der goldenen Warsteiner Halsmanschette galt Bier als Getränk des einfachen Mannes und wenn nicht das, dann über die kleine kompakte Flasche und Humpen für zünftige Trinkkultur. In anderen, eher kultivierteren Kreisen und zu besonderen Anlässen feierte man mit Wein oder Sekt, besser noch Champagner. Und auch hier sorgte ein Ritus immer wieder für freudiges Aufsehen, wenn mit gekonnter Handbewegung die goldene Halsmanschette entfernt wurde und das perlige Gold in schlanke Kelche verteilt wurde. Was wäre eigentlich, wenn sich dieser Habitus auf vermeintlich profanes Bier übertragen ließe? So entlieh Warsteiner diese Attitüde und spendierte der Flasche eine goldene Halsversiegelung und die Gläser wurden schlank wie lange Sektkelche. Im Ergebnis durfte endlich in Pausen von Opernaufführungen und anderen hochkulturellen Anlässen Bier getrunken werden, ohne dabei als unkultiviert zu gelten. Eine Erfolgsgeschichte, die seinesgleichen sucht. Archetypen zu entleihen ist ein begehrtes Mittel, um gesellschaftliche Restriktionen aufzulösen bzw. um einen Trigger auszulösen, der normalerweise in einem völlig anderen, oft entegegengesetzten Produktumfeld zum Tragen kommt.

Wer konsequent ist, geht noch einen Schritt weiter und ordnet neben der Verpackung auch die Produktkonfiguration einer entliehenen Archetypie unter. Prominentes Beispiel sind Kaugummis. Bis dato kannte man Kaugummis als flache Streifen, die von Aluminumfolie geschützt zu mehreren gestapelt in einem handlichen Pack untergebracht waren. Das Kauen von Kaugummis ist erfrischend und dient auf der markenpsychologischen Ebene dem Abbau innerer Spannung. Ein weiterer Insight der Kategorie liegt im frischen Mundgefühl, denn ähnlich der Mundspülung hinterlässt das Kaugummi ein gutes Zahn- und Mundgefühl. Diese indikative Wirkung galt es nach Insightanalyse zu steigern bzw. einen pharmazeutischen Aspekt zu addieren – die Geburtsstunde des Zahnpflegekaugummis. Um den neuen Benefit sichtbar zu machen, wurden gleich zwei Archetypen entlehnt: Zum einen die pastillenhafte Form des Kaugummies aus der Welt der Pharmazie und zum anderen die Dose als Zitat aus der Welt der Nahrungsergänzungemittel und Medikamentenaufbewahrung. Damit konnte der pflegerische Aspekt glaubhaft und erfolgreich unterstrichen werden.

Jeder Verpackungsarchetyp triggert eine bestimmte archetypische Zielgruppe und lässt sich damit zuordnen. Brand Design ist auch immer archetypisches Design. Dazu gilt es zu wissen, in welchen archetypischen Fakultäten gedacht werden soll. Hilfestellung bietet die klassische Typenklassifizierung basierend auf der Theorie des kollektiven Unbewussten von Carl Jungs, aber auch die Limbic Map der Gruppe Nymphenburger und andere Modelle, die spezifischer sind, wie die jüngst in der Studie von Ströer definierten Nachhaltigkeitstypen. Mit derartigen archetypischen Modellen zur Zielgruppendefinition können bewusst Archetypen für die eigene Marke definiert werden, die ganzheitlich Produktkonfiguration, Verpackung und Grafikdesign berücksichtigen.